Von SELBERDENKER | Marco d’Aviano, Jan Sobieski, Karl von Lothringen, drei Namen, die heute den wenigsten Schülern bekannt sein werden. Ohne sie würde das, was wir heute Europa nennen, jedoch nicht mehr existieren.
Nur durch das Zusammenwirken dieser drei sehr unterschiedlichen Männer konnte die Zweite Wiener Türkenbelagerung im Jahre 1683 abgewehrt werden, was den (vorläufigen) Anfang des Endes der islamischen Expansion nach Europa markierte. Die islamische Expansion prallte auf Widerstand. Die Festung Wien war das Bollwerk des christlichen Europas, ein strategisches Hindernis für die Türken auf ihrem Weg nach Rom. Rom war das Ziel und mit ihm die Zerstörung seiner Kulturgüter. Wien war für sie das „Tor nach Europa“, das aufgebrochen werden musste.
Der Name Marco d’Aviano mag vielen Lesern weniger bekannt als die beiden anderen eingangs genannten sein. D’Aviano war kein Krieger und kein Fürst. Sein Besitz beschränkte sich auf die einfache Kutte der Kapuzinermönche, ein Paar Sandalen, sowie ein hölzernes Kreuz – und dennoch wäre die Befreiung Wiens ohne sein Wirken wahrscheinlich an Streitigkeiten und Verzögerungen gescheitert. Ein solcher Artikel kann dem Wirken D’Avianos nicht annähernd gerecht werden. Es lohnt sich jedoch, sich näher mit ihm zu befassen.
Marco d’Aviano war ein unscheinbarer Kapuzinermönch aus dem Norden Italiens, der dem habsburgischen Kaiser Leopold I. und seiner Familie zum wertvollen Berater und Seelsorger wurde und ihnen auch persönlich nahe stand. Er war politischer Berater, Diplomat, Seelsorger und charismatischer Wanderprediger, der, häufig zu Fuß, ganz Europa bereiste. Seine persönliche Anwesenheit und sein Wirken bei nahezu allen entscheidenden Schlachten seiner Zeit gegen die islamische Expansion machten ihn zu einer lebenden Legende.
D’Aviano strebte nicht nach Anerkennung und Ruhm, obwohl er überall von barockem Prunk, rauem Soldatenleben und von mächtigen Heerführern umgeben war. Er lebte in tiefer Demut, in mönchischem Gehorsam und in Bescheidenheit. Trotzdem ist es seinen diplomatischen Bemühungen und seiner Mahnung zur Eile zu verdanken, dass Streitigkeiten beigelegt und der Entsatz von Wien noch rechtzeitig gelingen konnte, zumal die Festung tatsächlich kurz vor dem Fall stand.
Darüber hinaus setzte sich D’Aviano schon früh dafür ein, den Angreifern nachzusetzen. Die Befreiung Ungarns vom Türkenjoch wurde 1686 mit der Erstürmung von Ofen (Buda, später Budapest) nach über 150 Jahren eingeleitet und mit dem Sieg bei Mohacs 1687 besiegelt. Der kaiserliche Gegenschlag mündete in der Rückeroberung Belgrads im Jahre 1688.
Marco d’Aviano stand den Soldaten vor Ort persönlich bei. Sein charismatischer Beistand war Ansporn für Befehlshaber und Truppe und senkte nach osmanischen Quellen gleichzeitig die Moral des Feindes. Die Bedeutung des unscheinbaren Mannes für das freie Europa entspricht leider nicht seiner Bekanntheit. Der bescheidene Kapuziner aus Italien stand ganz im Dienst der von ihm erkannten Notwendigkeiten seiner Zeit.
» Morgen der zweite Teil: Der polnische König Jan Sobieski
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