Kennen Sie B-15A? Nein? Aber Sie kennen Luxemburg. Nicht die rote Rosa Luxemburg, sondern das Großherzogtum zwischen den Ardennen und Rheinland-Pfalz. Und so groß wie Luxemburg ist auch B-15A, ein Eisberg (Foto), der sich gelöst hat und im Arktischen Ozean treibt. Nun mag diese Information für jene Wissenschaftler interessant sein, über die im Frühstücksfernsehen abenteuerliche Reportagen zu sehen sind, Reportagen, in denen diese Experten auf High-Tech-Schiffen die Weltmeere durchpflügen und angestrengt auf blinkende Monitore schauen.
Der Laie hingegen muss sich mit dem Ergebnis einer mehr oder weniger hitzigen Debatte unter Wissenschaftlern zufriedengeben und kann nur auf einen Konsens hoffen, um sich am Ende entweder erleichtert oder mit schlechtem Gewissen in den Billigflieger zu setzen. Dass wir auf den Ausreißer B-15A jedoch unser ganzes Augenmerk richten sollen, schlägt Ilja Trojanow in der taz vom 18. Oktober 2006 vor. „Eisiges Zeugnis von Gewalt“ prangt in schnörkellosen taz-Lettern über dem Artikel, und Trojanow warnt davor, dass wir unseren Planeten vernichten. Jedoch ist Ilja Trojanow kein Klimaforscher, Geologe oder Meteorologe – er ist Schriftsteller. Dabei spielte Technik á la Crichton in Trojanows bisherigem Oeuvre keine große Rolle, er ließ lieber einen Engländer Welten sammeln. Warum also zieht es Trojanow in die unpoetischen Gefilde der Klimaforscher?
Weil es ihm gar nicht um das Schicksal des herrenlosen Eisbergs geht. Sondern darum, dass in Trojanows Welt die Öffentlichkeit der Debatte über den islamistischen Terrorismus mehr Platz zukommen läßt, als der drohenden Klimakatastrophe. Was erstens nicht stimmt, da allein die taz täglich mit dem Neuestem zur Apokalypse aufwartet, und Trojanows Artikel zweitens auf unappetitliche Weise mit zynischen Floskeln gespickt ist, die sich so lesen:
Die Einschätzungen der Klimatologen und anderer Wissenschaftler, die sich im Großen und Ganzen einig sind, werden in Zweifel gezogen, ihre Warnungen anhand kleinerer Ungewissheiten relativiert, während die Spekulationen und Übertreibungen der Sicherheitsexperten oft kritiklos wiedergegeben werden.
Zwar ist Trojanow noch nicht auf den Lehrplan deutscher Pisa-Schulen gehievt worden, doch was uns der Dichter damit sagen will, ist jetzt schon unklar. Denn liest man Trojanow so, wie Trojanow schreibt, stoßen Klimatologen vom Schlage eines glück- und farblosen Präsidentschaftskandidaten Al Gore überall, wohin sie ihre Flugzeuge tragen, auf taube Ohren. Deshalb gibt es in Deutschland auch keine Kuhns, Trittins und Gabriels. Während doch gleichzeitig finstere Geheimdienste, allen voran der berüchtigte BND, ihren Machtbereich auf unheimliche Weise ausbreiten und jetzt sogar planen, die Festplatten von möglichen Terroristen zu durchsuchen, wobei doch jeder weiß, dass Bin Laden mit Mohammed Atta in Hamburg nur mittels Brieftauben in Kontakt stand, weil man diese im Gegensatz zu E-Mails bei Überbringung schlechter Nachrichten gleich zum Mittagessen verspeisen kann.
Al-Qaida oder der islamische Fundamentalismus (oder wie auch immer dieser Gegner genannt wird) sei „die größte Herausforderung für die westliche Demokratie seit dem Ende des Kalten Krieges“, wird ebenso leichtfertig behauptet wie – vor allem in letzter Zeit unter Konservativen in den USA – dass all jene, die den Krieg gegen den Terror nicht mit allen Mitteln unterstützen, so verantwortungslos handelten wie einst all jene, die es nicht wagten, Hitler vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Paroli zu bieten.
Vermutlich meint Trojanow an dieser Stelle renommierte Schriftsteller wie den Niederländer Leon de Winter, der den Satz prägte: „Nach dem linken Faschismus der Sowjets, nach dem rechten Faschismus der Nazis, ist der Islamismus der Faschismus des 21. Jahrhunderts…“. Aber für Ilja, den Weltensammler, ist dieser Vergleich nur „lächerlich“. Genau. Wie wäre es zum Beispiel mit folgender Milchmädchenrechnung? Die Gesamtsumme aller Opfer des Elften Septembers, Israels, der Türkei, Indonesiens Tunesiens, Londons, Madrids etc. ergibt nur den Bruchteil aller Gefallenen der Schlacht von Stalingrad. Dabei wohnen in Wolgograd, wie Stalingrad heute heißt, viel weniger Menschen als in New York, Israel, der Türkei, Tunesien, Indonesien, London und Madrid zusammen.
Trojanow, der schriftstellernde Klimaforscher, versucht sich auch als Mathematiker und rechnet uns vor,
dass bei der Bekämpfung des Terrorismus etwa 100.000 irakische Zivilisten sterben mußten.
Warum mussten sie denn sterben, Herr Trojanow? Weil es islamistische Organisationen nicht lassen können, fast jeden Tag auf einem anderen Gemüsemarkt im Irak Zivilisten mit feigen Selbstmordattentaten zu ermorden! Weil sie wissen, dass alle, die die Bilder im Fernsehen sehen, sowieso „Cowboy Bush“ die Schuld geben. Zu dieser Einstellung passt auch, dass Trojanow die Todesopfer im amerikanischen, britischen – und irakischen – Militär unerwähnt lässt.
Alleskönner Trojanow bewegt sich auf ausgefahrenen Bahnen. Viele Geistesgrößen vor ihm haben uns, mit Taschenrechner oder ohne, vorgerechnet, was alles zahlenmäßig mehr Todesopfer fordert als islamischer Terrorismus: Autounfälle, asbestverseuchte Schulen und Bananenschalen auf dem Gehweg. Die Logik dahinter ist nicht etwa der unerschütterliche Glaube an die Kunst von Adam Riese, sondern Appeasement des 21. Jahrhunderts. Möchte uns Trojanow etwa vordichten, er würde nicht bemerken, dass Terroristen, die keinen Skrupel davor haben, Unschuldige in Bahnhöfen, Hotels oder Synagogen zu ermorden, nicht in die Kategorie Blitzschlag fallen?
Hier könnte der Artikel schon enden, gäbe es da nicht einen kleinen Unterschied zwischen unserem Dichter und all den ehemaligen SS-Mitläufern dieser Welt. Ilja Trojanow ist nämlich vor einigen Jahren zum Islam konvertiert. Und 2004 veröffentlichte der frischgebackene Moslem ein Buch über seine Erlebnisse auf der Pilgerfahrt nach Mekka. Schon möglich, dass es einem da auf die Nerven geht, wenn immer nur von moslemischen Terroristen die Rede ist. Könnte man nicht die maoistischen Nepal-Rebellen überzeugen, auch mal irakische Zivilisten zu meucheln?
Trojanow besinnt sich zumindest an einer Stelle in seinem famosen Artikel seiner dichterischen Wurzeln und zeigt sich zartbesaitet:
Immerhin bricht ein Stück von der Größe Luxemburgs aus dem ewigen Eis, treibt umher und zerfällt dann in kleinere Stücke, bevor es sich schließlich in Wasser auflöst. Ist die Aufnahme von zergehender Ewigkeit, wenn auch nur im Eisbergformat, für halbwegs fantasiebegabte Menschen nicht ein grausiges Zeugnis von Gewalt?
Gewalt! Ob da noch Soziologen deeskalierend einschreiten können? In der Welt zumindest, die Trojanow gesammelt hat, verdecken die Wassermassen sich auflösender Eisberge die zerbombten und verbrannten Leiber der 191 Todesopfer von Madrid.
(Gastbeitrag von Martin G. R. Rudiger)
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