Wenn ein Wissenschaftler eine bahnbrechende Erfindung tätigte, die bis in die Gegenwart hinein Milliarden von Menschen auf der ganzen Erde das Überleben sichert, hätte man eigentlich Grund zu der Annahme, dass man diesen wackeren Mann in einem Atemzug mit Koryphäen wie Justus von Liebig, Rudolf Diesel, Max Planck, Otto Hahn oder Albert Einstein erwähnen müsse.
(Von Esteban Escobar)
War dieser Forscher drüber hinaus ein durch die Nationalsozialisten aus seinem Amt geätzter deutscher Jude, verwundert es, dass heutzutage nicht sämtliche Städte unseres Landes Straßen, Plätze, Schulen oder Auszeichnungen nach diesem Manne benannt haben.
Wenn, ja wenn, der gute Fritz Haber (1868 – 1934) sich nur brav darauf beschränkt hätte, seine Forschungen im Bereich der Ammoniak-Synthese zur Düngemittelherstellung voranzutreiben und sich (wenngleich wohl vergeblich) gegen die militärische Verwendung seiner Erfindungen ausgesprochen hätte, gälte er heute als eine Lichtgestalt der Wissenschaft und könnte sich im Ruhmesglanze der Nachwelt sonnen.
Denn es ist ja immerhin keine Frage: Ohne die Möglichkeit, den atmosphärischen Stickstoff massenhaft agronomisch als Kunstdünger zu verwerten, wie dies heute noch nach dem sogenannten Haber-Bosch-Verfahren (1910 durch die BASF patentiert) praktiziert wird, sähe es düster aus mit der Welternährung: Eine Weltbevölkerung von vielleicht vier oder fünf Milliarden stünde stets am Abgrund des Hungers, der (anders als in der heutigen Realität mit ihrer insgesamten Überproduktion an Nahrungsmitteln) keinesfalls nur durch strukturelle Verteilungsschwierigkeiten bedingt wäre. Auch von den ökologisch wertvollen Guanofelsen wäre heute wohl kein Überrest mehr vorhanden, da erst Habers Erfindung deren Abbau weitgehend überflüssig machte.
Allerdings nun war Fritz Haber ein Kind seiner Zeit, ein begeisterter Patriot und ein glühender Militarist. Und so stellte er seine Forschungen während des Ersten Weltkrieges in den Dienst des deutschen Militärs, für das er nicht nur an Verfahren zur Sprengstoffherstellung, sondern an Giftgasen arbeitete und deren Einsatz gegen den Feind koordinierte. Nach eigener Aussage wollte Haber mit diesen Mitteln den Krieg schneller beenden, und somit Menschenleben retten – im Nachhinein wohl eine grobe Fehleinschätzung (jedoch das gleiche Argument, mit dem die Amerikaner 1945 ihre Atombombenabwürfe rechtfertigten).
Nach Kriegsende erhielt Fritz Haber den Nobelpreis für Chemie des Jahres 1918 für die “Synthese von Ammoniak aus dessen Elementen“.
Es liegt eine gewisse Tragik in der Tatsache, dass der jüdischstämmige Haber in der Weimarer Zeit mit der “Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung” (Degesch) die technischen und unternehmerischen Grundlagen zur späteren Herstellung des Vernichtungsgases Zyklon B lieferte, und an der Gründung der I.G. Farben beteiligt war – ohne freilich den weiteren Verlauf der Geschichte ahnen zu können.
Als Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physikalische Chemie und Elektrochemie wurde Fritz Haber nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten von der Entfernung jüdischer Mitarbeiter betroffen. Er zog sich in der Folge in den Ruhestand zurück, und nahm einen Ruf an die Universität Cambridge an. Am 29. Januar 1934 verstarb Fritz Haber im Alter von 65 Jahren in Basel an den Folgen eines Herzinfarktes.
Trotz des Siegeszuges der von ihm entwickelten chemischen Verfahren tat (und tut) sich die Heimat schwer mit dem Gedenken. Während des Nationalsozialismus verhinderte die jüdische Herkunft Habers, und in der Nachkriegszeit dessen Rolle während des Ersten Weltkriegs den öffentlichen Ruhm. Wenigstens trägt das frühere, bis 1933 von ihm geleitete Kaiser-Wilhelm-Institut (nunmehr als Teil der Max-Planck-Gesellschaft) seit 1953 Fritz Habers Namen, und in manchen Industriegebieten sind Straßen nach ihm benannt.
Der achtzigste Todestag des Chemikers am 29. Januar dürfte jedoch eine angebrachte Gelegenheit zu einer kritischen Würdigung Habers sein, zumal dessen Verdienste an Menschenleben die kriegsbedingten Anwendungen seiner Forschung um ein Vielfaches übertrifft.
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