Wenn einer eine Reise tut, dann erlebt er etwas. In Berlin schon auf dem Flughafen. Da ich schon eine Weile nicht mehr in Berlin gewesen bin, bin ich entschlossen, die Augen offen zu halten, um möglichst viel Berliner Atmosphäre aufzunehmen, Stimmung einzufangen. Schon nach wenigen Schritten bekomme ich dazu Gelegenheit.
12.25 Uhr: Aus München in Tegel angekommen, wende ich mich nach links in Richtung der abnehmenden Abflug-Gate-Nummern. Nach ein paar Metern sehe ich ein Stück vor mir, gegenüber Gate 2, Bewegung, Polizei, Menschen. Passanten schauen, gehen weiter.
Auf der Sitzfläche über der Heizung, direkt an den Fensterscheiben liegt einer. Drei Flughafen-Polizisten stehen herum. Was war da los? Schlägerei? Offenbar nicht. Ich komme näher. Kein Blut, niemand schaut verletzt aus. Auf der Sitzbank gegenüber dem Fenster, mit dem Rücken zum Gate, sitzt jemand: Ca. 30-35, osteuropäischer Typ, relativ groß, kurz geschorener Kopf, beige-graue Windjacke. Auf dem Rücken ein Rucksack, der auf den Sitz hinter ihm runter hängt. Ein Polizist will ihn ansprechen. „Sprechen Sie Deutsch?“ Betrunken? Sitzt ruhig da, kein Gelalle, keine Flasche. Aber offenbar total zugedröhnt. Womit auch immer. Völlig unansprechbar, reagiert auf nichts, nimmt nichts wahr, stiert vor sich hin. Der Typ am Fenster liegt regungslos da, nach hinten überstreckter Hals. Quasi Komatös.
Auf der Doppel-Bank sitzen noch drei Fluggäste, so sieht es jedenfalls aus: Zwei Mädels, fast Rücken an Rücken zu dem einen Typen. Haben sich umgedreht, schauen interessiert zu der Szene, ich seh nur ihre Rücken. Noch ein Fluggast ein paar Sitze weiter.
Ein Polizist wendet sich an den zugedröhnten Typen mit dem Rucksack: „Sie haben doch seit Wochen Hausverbot hier.“ Keine Reaktion. Die drei Polizisten, helles Hemd, weiße Mütze, mit Flughafen ID-Tag, am Gürtel Funkgerät, Waffe, Handschellen und noch irgendetwas, wirken hilflos. Das schaust Du Dir jetzt an, denke ich mir. Mal sehen, wie die Berliner Flughafenpolizei mit der Standard-Situation fertig wird.
Der Dienstälteste schickt seine vollschlanke Kollegin zum Telefon am leeren Gate. Instruktionen einholen oder Verstärkung rufen. Funktioniert nicht. Nächstes Telefon. Warten. Nichts passiert. Die drei Polizisten stehen ratlos um die beiden vollgedröhnten Gestalten herum. Ich werde nachdenklich: Eigentlich ganz gut, in einem Land zu leben, in dem die Polizei nicht sofort losprügelt. Aber wenn unsere Polizei in einer so simplen Situation so überfordert wirkt, dann ist mir das auch ungemütlich.
Ah, da kommen noch vier Polizisten. Nein, nur drei, einer geht vorbei. Jetzt sind sie zu sechst, alle mit Waffen, Handschellen und Funkgerät – und genauso hilflos wie zuvor. Sechs Polizisten versuchen auf die Typen einzureden. Ohne Ergebnis.
Dann die Wende: Drei Streifenpolizisten, grüne Anoraks, kommen also von draußen, machen nicht lang rum. Der Komatöse wird aufgerichtet und sitzt nun. Der andere Typ kriegt eine deutliche Ansprache. Die beiden müssen raus. Die Tür ist nur drei Meter entfernt. Die drei Jungs in Grün packen sich den Komatösen.
Dann das Unfassbare: Die beiden Mädchen auf der Bank regen sich auf und machen die Polizisten an. „Hey, nicht so grob“, keift die eine. Der Polizist mit den vier Sternen kriegt einen Hals. „Vorsichtig“, kreischt die andere, „die haben doch gar nichts getan!“. Dem Polizisten wirds zuviel: Mit ausgestreckter Hand zu der Haupt-Schreierin: „Halten Sie sich hier raus. Wir machen unsere Arbeit.“ Die plärrt weiter. Die Polizei bringt die Typen raus, Situation bereinigt.
Das kann nicht unkommentiert bleiben, denke ich mir und gehe auf die beiden Mädchen zu. Offenbar keine Fluggäste. Typisches alternativ-autonomes Gehabe. Kurzhaarschnitt, bunter Fummel, kein Gepäck außer einer bunten Tasche.
Ich spreche die beiden einfach an: „Ich hab alles genau gesehen und beobachtet, und jetzt muss ich mal was sagen: Dass Ihr der Polizei auch noch das Leben schwer macht, das ist mies, dumm und schädlich!“
Den beiden fällt die Kinnlade runter. Sekunden der Fassungslosigkeit. Das haben die offenbar noch nicht erlebt. Dann beginnt das Gekeife.
Mädchen: „Was geht Sie das überhaupt an, Sie sind schädlich!“
Mtz: „Und wie mich das was angeht. Was Ihr gemacht habt, schadet uns allen. Ihr schadet der Stadt und dem ganzen Land!“
Das Mädchen kriegt sich nicht ein vor Empörung.
Mtz: „Ihr seid wirklich das Letzte, das Hinterletzte.“
O.k., ich geb zu, dass war nicht wirklich Kavalier alter Schule. Aber die beiden haben das gebraucht. Sie keifen weiter und stampfen davon. Weil ich in die gleiche Richtung muss, folge ich ihnen. Sie strecken den Stinkefinger in die Höhe, was von mir mit einem vernehmlichen „Danke, gleichfalls!“, quittiert wird.
Kultur des Hinsehens hat doch neulich unsere Bundeskanzlerin eingefordert. Recht hat sie, finde ich. Denn die beiden Autonomen-Mädchen haben die klare Ansprache offenbar gebraucht. Jetzt haben sie in der Autonomen-Kneipe wenigstens was zu erzählen. Ich hab schon öfter mal Irrsinns-Typen ganz direkt angesprochen, aus den verschiedensten Gründen und mach es wieder. Wer macht mit?
(Gastbeitrag von Mtz)
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