Israels Botschafter in der Schweiz, Ilan Elgar, hat für die Gesellschaft Schweiz-Israel eine schriftliche Ansprache verfasst, die er uns zur Veröffentlichung freigegeben hat:
Am Vorabend von Israels 60. Geburtstag stehen wir (und leider muss ich sagen «wie üblich») vor etlichen Herausforderungen, einige besorgniserregend, andere wiederum lassen Hoffnung aufkommen. Beschäftigen wir uns mit dreien davon.
Die hauptsächliche Bedrohung für Israel heute kommt aus dem Iran. Der Iran hat die Ambition, eine Macht in der Region zu werden, vielleicht sogar mehr. Der Iran hat zur Genüge bewiesen, dass sein Ziel die Zerstörung des israelischen Staates ist. Nun strebt er danach, die Mittel dafür zu erwerben. Schon seit einigen Jahren unternimmt der Iran koordinierte Anstrengungen, um eine Atommacht zu werden. Er entwickelt Langstrecken-Potential in Form von Raketengeschossen, Marschflugkörpern und Flugzeugen. Erst letzte Woche zeigte er viele davon in einer riesigen Parade. Der neue »Blitz»-Kampfjet wurde zum ersten Mal gezeigt und die Langstreckengeschossse «Shehab» trugen den Slogan «Weg mit Israel».
Natürlich (und sollte ich sagen zum Glück?) ist der Iran nicht nur unser Problem. Er ist jedermanns Problem. Seine militärischen Ambitionen bedrohen erstens seine unmittelbaren Nachbarn im Persischen Golf, die Golf-Emirate und Saudi-Arabien. Da diese die weltweit wichtigsten Öllieferanten sind, ist es auch ein Problem für viele andere Länder. Die militärischen Ambitionen des Irans reichen weit über unsere Region hinaus. Seine Raketen können bereits ganz Israel erreichen, aber der Iran arbeitet an Langstrecken-Raketen. Der Iran ist ein Destabilisieruns-Faktor im Nahen und Mittleren Osten. Er ist sehr stark in terroristische Aktivitäten im Irak involviert, und seine Waffen und sein Einfluss sind für viele der unzähligen Todesfälle dort verantwortlich. Seit Jahren versucht der Iran, den Libanon in eine Schiitische Islamische Republik umzuwandeln. Zu diesem Zweck hat er enorme Geldsummen und Mengen an Waffen in die Hisbollah investiert. Diese Organisation ist in der Tat der verlängerte Arm der iranischen Revolutionsgarde. Der Libanon steckt nun in einer tiefen politischen Krise und die Vollmachtspostition des Iran dort ist einer der Hauptgründe dafür.
Der Iran ist auch sehr stark in die Palästinensischen Terrororganisationen involviert. Er liefert Ausrüstung und Ausbildung an Hamas, Islamischen Dschjhad und an extreme Elemente der Fatah.
Die Kombination von religiösem Eifer, politischem Ehrgeiz verbunden mit militärischen Ambitionen, speziell mit Nuklear-Waffen, ist für die ganze Weltgemeinschaft in tiefstem Masse besorgniserregend. Dies zeigte sich an verschiedenen Resolutionen des Sicherheitsrates und den Inspektionen der IAEA im Iran. Welches sind die Folgen eines nuklear aufgerüsteten Irans? Der Iran muss nicht zwangsläufig eine Bombe abwerfen. Wenn er sie erst einmal hat, wird sich jede mit dem Iran verbundene Terror-Organisation unangreifbar fühlen und unter dem iranischen nuklearen Schirm entsprechend agieren. Aber das wird nicht alles sein. Wenn der Iran einmal zur Atommacht geworden ist, möchten auch Ägypten, Saudi-Arabien und sogar Jordanien nachziehen. Dieser Domino-Effekt wird den gesamten Nahen und Mittleren Osten ergreifen und man muss kein reiches Land sein, um zur Atommacht zu werden – siehe Nordkorea.
Die internationale Gemeinschaft ist über die Absichten des Irans tief besorgt, aber sie muss in ihren Reaktionen viel entschlossener sein. Sie muss ganz klare Signale an den Iran senden. Leider tätigen viele Länder trotz der dem Iran auferlegten Sanktionen mit dem Regime der Ayatollahs ganz normal Geschäfte, was dieses stärkt. Die Schweiz (zum Beispiel) hat gerade kürzlich den iranischen Energie-Minister empfangen, und die Schweizer Firma EGL ist daran, einen viele Milliarden Euro schweren Deal für Erdgas mit dem Iran zu unterzeichnen. Energie ist nicht in den UN-Sanktionen eingeschlossen, so kann die Schweiz geltend machen, sie halte sich an die Sanktionen. Juristisch betrachtet mag dies korrekt sein, aber vom politischen Standpunkt aus ist es sehr falsch.
An der Palästinensischen Front stehen wir vor einer weiteren Herausforderung. Im Juni hat die Hamas brutal die Kontrolle im Gaza-Streifen übernommen und die Palästinensische Gesellschaft in zwei verschiedene Lager gespalten. Zum ersten Mal gibt es einen klaren Unterschied zwischen dem pragmatischen Lager von Fatah/Abbas und der extremistischen Hamas. Während Mahmoud Abbas in den vergangenen Monaten Verhandlungen mit dem israelischen Premierminister Ehud Olmert führte, feuern die Hamas und ihre anderen terroristischen Partner in Gaza weiterhin Raketen und Mörserbomben auf Israel. Für November ist nun in Washington eine Friedenskonferenz geplant, und Israel zeigt seine guten Absichten, etwa durch die Freilassung von palästinensischen Häftlingen, und wir erzielen langsam Fortschritte im Hinblick auf ein Abkommen. Auf der andern Seite bleibt die Hamas unversöhnlich, weigert sich, Israels Existenzrecht anzuerkennen und praktiziert weiterhin Terror. Vermutlich wird sie auch versuchen, jegliches Abkommen zu sabotieren, das wir mit den gemässigteren Palästinensern erreichen könnten. Wenn die internationale Gemeinschaft daran interessiert ist, den Friedensprozess zu fördern, sollte sie diejenigen ermutigen, die ihn anstreben und die andern isolieren, die sich ihm entgegenstellen. Man sollte terroristischen Kräften wie der Hamas und dem Islamischen Dschjhad zu verstehen geben, dass ihre Ideologien nicht akzeptabel sind. Diese Organisationen werden als Terrororganisationen definiert und von der EU und den USA boykottiert. Leider hat die Schweiz eine andere Einstellung. Sie glaubt, dass es dort relativ pragmatische Elemente gibt und dass diese ermutigt werden sollten; auch sind schweizerische Emissäre in ständigem Kontakt mit der Hamas-Führung. Ich glaube, dass das naiv ist. Wenn alles gesagt und getan wird, reissen die Ex¬tremisten und Gewalttätigen die Macht an sich, wie vor drei Monaten. Ich möchte betonen, dass es in Israel Stimmen gibt, die Diskussionen mit der Hamas befürworten. Eine Gruppe von Schriftstellern hat eben einen solchen Aufruf veröffentlicht. Dies ist hingegen Teil der vielfältigen Debatte in Israel.
Die israelische Regierung hat letzte Woche den von der Hamas kontrollierten Gaza-Streifen zum feindlichen Gebiet erklärt. Dies geschah nach sieben (!) Jah-ren ununterbrochenen Beschusses durch Raketen und Minenwerfer aus Gaza. Dieser Beschuss hörte nie auf, sogar wenn die Hamas einen Waffenstillstand verkündigte. Schlimmer noch, mehr als 70 % der Stromlieferungen für Gaza stammen aus dem israelischen Kraftwerk von Ashkelon. Dieses Werk ist, so unglaublich es klingt, das Ziel zahlreicher Kassam-Raketen. Deshalb sieht sich Israel auch berechtigt, die Lieferungen von Strom und Benzin nach Gaza zu begrenzen. Selbstverständlich betrifft das nicht lebensnotwendige humanitäre Lieferungen wie Nahrungsmittel und Wasser. Und wir rufen denen, welche diese Aktion als «Kollektive Bestrafung» brandmarken, in Erinnerung, dass die Hamas vor allem als Ergebnis einer demokratischen Wahl Kontrolle über den Gazastreifen erlangte. Die Hamas machte kein Geheimnis aus ihrer Politik des Terrors gegen Israel, und doch gewann sie die uneingeschränkte Unterstützung der Wählerschaft Mit kollektiven Entscheidungen geht auch kollektive Verantwortung einher.
Gibt es nur schlechte Nachrichten? Natürlich nicht. Israel ist die erfolgreichste Gesellschaft im Nahen Osten. Sie begann vor 60 Jahren auf ungefähr demselben Niveau wie ihre Nachbarn. Heute ist die israelische Wirtschaft grösser als die all ihrer Nachbarländer zusammen genommen. Sieben Millionen Israelis produzieren viel mehr als 100 Millionen jenseits unserer Grenzen. Und trotz vieler Versuche, Israel zu zerstören, existiert unser Land noch immer und es gedeiht. Seine wirtschaftlichen und kulturellen Handelspartner sind Europa und der Rest der entwickelten Welt. Wir produzieren und exportieren innovative High-Tech-Produkte, aber wir bringen auch eine immer grössere Anzahl an Nobelpreis-Trägern und Weltklasse-Musikern hervor.
Wir sind keine selbstbewusste Gesellschaft. Wenn man weltweit der einzige Staat ist, der ständig von der Zerstörung bedroht ist, wenn man die nationale Heimat eines Volkes ist, das Vertreibungen, Massaker und den schlimmsten Holocaust erduldet hat, der je geschah – die Shoa – so ist das nicht möglich. Aber alles in allem ist unsere Leistung bis jetzt doch nicht so schlecht.
Ilan Elgar, Botschafter des Staates Israel in der Schweiz
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