Bild-Quelle: Düsseldorf-Blog
Zum Wahlergebnis in der Türkei erklärt Claudia Roth in einer ihrer berühmt-berüchtigten PM’s:
Wir gratulieren dem türkischen Ministerpräsidenten und seiner Partei zu diesem großen Wahlerfolg. Das ist ein klarer Sieg der Vernunft und der Demokratie in der Türkei.
Die Wählerinnen und Wähler in der Türkei haben mit dem gestrigen Urnengang eine demokratische Entscheidung getroffen, die ein klares Ja zu Reformen, zu Europa, zu stabilen Verhältnissen und zur weiteren Demokratisierung des Landes bedeutet. Dies ist zugleich ein unmissverständliches Nein zum Nationalismus und Chauvinismus, zur Dominanz des Militärs, zu den alten Kräften und einer politischen Kaste, die die Türkei ausgebeutet hat.
Auch der Erfolg von unabhängigen Kandidaten aus den kurdischen Gebieten und einigen Großstädten bietet die große Chance, dass endlich wieder kurdische Abgeordnete im Parlament mitbestimmen können. Es bleibt weiterhin eine zentrale Herausforderung für die türkische Politik, den Weg der Aussöhnung und des Wiederaufbaus zu gehen.
Die neue Regierung hat nun den Auftrag, das klare Votum der Wählerinnen und Wähler und den offenbar großen Reformwillen in der Bevölkerung in Taten umzusetzen: Den Stillstand im Reformprozess zu beenden, den Paragraphen 301 abzuschaffen, die türkischen Justiz- und Strafverfolgungsbehörden weiterhin rechtsstaatlich zu reformieren, Minderheitenrechte und deren Umsetzung zu garantieren, das Militär und seine Rolle in der türkischen Politik zu zivilisieren. Auch außenpolitisch wird die neue Regierung viel zu bewältigen haben. Das Wahlergebnis ist eine klare Absage an aggressive und abenteuerliche Vorstellungen des türkischen Militärs im Nordirak.Die Bundesregierung darf sich nicht hinter einer doppelbödigen Türkei-Politik einiger EU-Länder verstecken. Sie steht in der Pflicht, den Integrationsprozess der Türkei in die EU klar zu unterstützen und endlich Abstand von Gedankenspielen mit einer so genannten Privilegierten Partnerschaft zu nehmen.
Wir empfehlen Klein-Claudi diesen Text hier über den lupenreinen Demokraten Erdogan zur abendlichen Lektüre.
» Kontakt: claudia.roth@wk.bundestag.de
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„Bestmögliches Ergebnis“
Vatikan gratuliert Erdogan
Der Vatikan hat den Wahlsieg des türkischen Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan als „bestmögliches Ergebnis für Europa und die christlichen Kirchen“ bezeichnet. Gleichzeitig betonte Kurienkardinal Sergio Sebastiani, die Europäische Union solle die Verhandlungen zum EU-Beitritt der Türkei wieder aufnehmen.
„Die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zu einer vollständigen Demokratisierung müssen mit großer Aufmerksamkeit verfolgt werden“, sagte Sebastiani, der ab 1985 fast zehn Jahre als Apostolischer Nuntius in der Türkei gelebt hatte und heute Präsident der Vatikanischen Wirtschaftspräfektur ist.
Der Wahlsieg werde es Erdogan erlauben, sein Reformprogramm fortzuführen, fügte der Geistliche im Interview mit der Mailänder Zeitung „Corriere della Sera“ hinzu. Nachdem der Vatikan einem EU-Beitritt der Türkei zunächst skeptisch begegnet war, hatte sich Papst Benedikt XVI. im vergangenen Jahr bei einer Reise in das Land für eine Vollmitgliedschaft der Türkei ausgesprochen.
(…)
http://www.ntv-online.de/830066.html
Die Redaktion der armenischen Wochenzeitung Agos in Istanbul wird von einem Polizisten bewacht, der kurz aufblinzelt, wenn jemand vorbeihuscht. Im Februar wurde hier der christliche Chefredakteur Hrant Dink von einem gedungenen minderjährigen Mörder erschossen. Sein Nachfolger Etyen Mahçupyan, der lange im renommierten Forschungsinstitut Tesev gearbeitet hat, hielt sich fern von den Massenkundgebungen der vergangenen Wochen. Beunruhigt ihn die Gefahr des Islamismus nicht? »Papperlapapp. Die Türkei bewegt sich stetig fort vom Islamismus, das zeigen alle soziologischen Studien«, sagt er. Die Zahl der Kopftuchträgerinnen habe in den vergangenen sieben Jahren abgenommen. Und unter den Frauen mit Kopftuch wachse die Zahl sehr selbstbewusster Bürgerinnen. Aber schwimmt nicht die AKP-Regierung auf der islamisch-konservativen Welle? Er seufzt. »Schauen Sie, wir haben eine neue Bourgeoisie von Muslimen in der Türkei«, erklärt er. Sie seien auf wirtschaftlichen Erfolg aus, sie seien individualistisch, sie trennten Politik und Geschäft von ihrem persönlichen Glauben. So würden diese Muslime die Religion modernisieren. Mag sein, aber was hat die AKP damit zu tun? »Die Regierung ist das Produkt dieser Modernisierung der türkischen Muslime. Die Islamisten sind an den äußersten Rand gedrängt worden, die konservative, pragmatische AKP triumphiert.«
Doch werden nicht gerade unter der Regierung Erdo?an Christen umgebracht, so wie sein Vorgänger in der Agos-Redaktion? Mahçupyan seufzt wieder, er sagt all dies offenbar nicht zum ersten Mal. »Moderne Muslime, von denen ich rede, sehen Christen nicht als Bedrohung, sondern als Gläubige anderen Bekenntnisses.« Es seien nationalistische und streng säkulare Türken, welche Christen und vor allem christliche Missionare zur Bedrohung der staatlichen Einheit erklärt hätten. Diese Leute seien ebenso Gegner der AKP-Regierung wie der EU.
Aber die Drohungen gegen seine Zeitschrift Agos? »Kommen von Nationalisten.« Moment mal, aber schmücken die nicht manchmal ihre Parolen mit Koranversen? Ja, es gebe türkische Nationalisten, die Muslime sind, aber gefährlich seien sie nicht wegen des Glaubens, sondern wegen des Nationalismus. Mahçupyan beugt sich weit über seinen Schreibtisch: »Ganz ehrlich, wir Christen ziehen es vor, unter einer konservativ-muslimischen Regierung zu leben als unter einer national-säkularen Regierung.« So hat der Christ Etyen Mahçupyan denn auch schon zweimal AKP gewählt.
Mahçupyan ist in seinen Ansichten kein skurriler Einzelgänger. Im ökumenischen Patriarchat sieht der Sprecher, der griechisch-orthodoxe Pater Dositheos, die Bedrohungslage ähnlich: »Die Mörder der christlichen Missionare sind Nationalisten, die den Islam benutzen, aber auf jeden Fall aus dem nationalistischen Spektrum stammen.« Wie unterschiedlich türkische Politiker damit umgehen, ist ?ahin Alpay, Politikprofessor an der Istanbuler Bahce?ehir-Universität, aufgefallen. In der Professorenkantine mit Blick auf die asiatische Seite des Bosporus vergleicht er zwei Zitate nach den Morden an den christlichen Missionaren. Premier Erdo?an sagte: »Wir haben 36 verschiedene Völker und andere Religionen und Identitäten, die respektiert werden müssen. In Europa gibt es rund 6000 Moscheen. Wir müssen bei uns den Kirchen und Synagogen die gleiche Sicherheit geben.« Der säkulare Präsident Sezer sagte nur: »Die Menschen müssen ihre Reaktionen demokratisch und gewaltfrei zeigen.« – »Ist es nicht eigenartig«, fragt Alpay, »wie intolerant die säkularen Türken die muslimisch-nationale Identität der Türkei verteidigen im Vergleich zu den aufgeklärten Muslimen um Erdo?an?«
Deshalb findet Ümit Cizre, eine liberale, nichtreligiöse Politikprofessorin von der Bilkent-Universität, die Rede von der versteckten islamischen Agenda der Regierung »absurd«. »Entscheidend ist, was Erdo?an tut, und nicht, was er in der Vorstellung seiner Gegner tun könnte«, sagt sie. Die AKP islamisiere das Land nicht, sie modernisiere es und führe es mit weitreichenden Reformen an die EU heran. Und dazu gehöre die Trennung von Militär und Staatsgeschäften, vorangetrieben durch die Entmilitarisierung des Nationalen Sicherheitsrats. »Aber das gefällt nicht jedem, vor allem nicht der Armee.«
http://images.zeit.de/text/2007/20/Tuerkei
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