Wird eine Rückkehr des Religiösen den Kontinent retten? Und sind gläubige Menschen automatisch die besseren, bzw. Atheisten immer die schlechteren? Nein, sagen Michael Miersch und Dirk Maxeiner in der Welt und erklären, warum.

Welche Vorteile hat Religion für die Gesellschaft und das Individuum, und warum konnte sie sich evolutionär durchsetzen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Zeitschrift „Bild der Wissenschaft“ in ihrer jüngsten Ausgabe. Unsere haarigen Ahnen hätten doch mit Sex, Essen oder Faulenzen ausgelastet sein können, aber sie erfanden das Beten.

Seit Jahren ist die Renaissance des Religiösen ein in zahlreichen Varianten aufbereitetes Feuilletonthema, das ebenso wie die „neue Bürgerlichkeit“ die Herzen der talkenden Klasse erwärmt. Mit der Realität in Europa hat der gebildete Diskurs nicht viel zu tun – es sei denn, man hält einen leichten Rückgang bei den Kirchenaustritten für eine epochale Trendwende.

Die Botschaft der Zurück-zum-Altar-Pädagogen lautet in Kurzfassung so: Klamauk-TV, Popsongs, Schwulenehe, Hollywood, lasche Erziehung, Fast Food und sexuelle Libertinage schwächen den Gesellschaftskörper und verunsichern den Einzelnen, der nirgends mehr einen Sinn erkennt. Gleichzeitig haben wir der fanatisch aufgeladenen Frömmigkeit der muslimischen Welt nichts Rechtes entgegenzusetzen. Es gibt kaum einen Gemeinplatz, der quer durch alle Lager so viel Zustimmung findet wie die These vom Verfall der Werte (nur Ökopanik und Amerika-Verachtung sind ähnlich konsensfähig). Da nicken alle und runzeln besorgt die Stirn: Mein Gott, was soll aus Deutschland werden?

Und weil alles so schlimm ist, müssen die Leerstellen in den Köpfen schnellstens mit Sinn gefüllt werden, als da wären Nation und Religion. Bisher war das Projekt nicht sonderlich erfolgreich, aber es kann ja noch werden. Die Gläubigen in unserem Freundeskreis finden es übrigens befremdlich, dass die Wertehausierer Religion als Instrument zur Menschenerziehung betrachten. Schließlich gibt es nur einen Grund religiös zu werden: den Glauben an Gott. Das Modell für die instrumentelle Religionspädagogik sähe ungefähr so aus: Nach einer Talkshow über Werteverfall bleibt der Zuschauer noch etwas sitzen und denkt nach: „Stimmt: Stefan Raab, Fitnessstudio und Mallorca-Urlaub – das kann doch nicht alles sein. Jetzt glaube ich an Gott.“ Klingt nicht sehr wahrscheinlich.

Falls es aber doch so funktioniert – würde es was nützen? Auch hierüber erteilt „Bild der Wissenschaft“ Auskunft. Die Antwort ist niederschmetternd für alle, die per Religion das Gute im Menschen wecken wollen. Der renommierte Wissenschaftsjournalist und Psychologe Rolf Degen recherchierte über die moralische Standfestigkeit religiöser Menschen und berichtet vom Stand der Forschung. Wissenschaftler haben sich einiges einfallen lassen, um der Sache auf die Spur zu kommen. Unser Lieblingsversuch fand bereits vor mehr als drei Jahrzehnten statt und verlief so: 40 Schüler eines Priesterseminars wurden zu einem Vortragssaal geschickt, wo sie über den barmherzigen Samariter sprechen sollten. Auf dem Weg dorthin lag ein Mann, der einen Zusammenbruch täuschend echt simulierte und offenbar auf Hilfe angewiesen war. 16 der 40 boten Unterstützung an. Bei etlichen anderen Versuchen und realen Situationen, die Gläubige und Ungläubige gleichermaßen vor moralische Entscheidungen stellten, schnitten die Frommen nicht besser ab. Fazit: Religiöse Menschen betrügen nicht seltener als Atheisten und sind auch keineswegs barmherziger. Klar bewiesen ist dagegen eine erhöhte Affinität religiöser Menschen zu fanatischer Gewalt.

Wie es aussieht, haben Mitleid, Nächstenliebe, Anstand und Fairness kaum etwas mit dem Glauben an einen Gott zu tun. Das ist eine gute Nachricht: Jeder kann sich entscheiden, gut zu sein, das Fundament dafür steckt in allen. Sogar in Menschen, die Stefan Raab gucken.

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