Gerhard Schulze (Foto), Professor für Methoden der empirischen Sozialforschung und Wissenschaftstheorie an der Universität Bamberg, befasst sich heute in einem lesenswerten Gastbeitrag für die Welt mit der menschlichen Neigung – speziell in der Klimadebatte – zu glauben, was alle glauben und die Fakten zu verdrängen. "Was wir in den letzten zehn Jahren in der Klimadebatte erlebt haben, war die Geburt einer konstruierten Gewissheit von großer Suggestivkraft", so Schulze.
Er geht in seinem Artikel explizit auf einen Leserbrief von Dr. Koelle in der Welt vom 10. Januar ein:
Was hat sich WELT-Leser Herr Koelle aus Ottobrunn gedacht, als er vor zwei Tagen über die "Klima-Hysterie" schrieb? Klima-Tote noch und noch, und die arme Südhalbkugel bezahlt die Zeche, während die schuldige Nordhalbkugel auch noch Klimagewinner ist. Das ist die Quintessenz einer Studie der EU, auf der das Strategiepaket der EU für eine gemeinsame Energie- und Klimapolitik aufbaut. In der Studie steht nichts Neues, doch das erhöht nur noch ihre Glaubwürdigkeit und ihren dramatischen Ernst. Was tun? Sofortige Kohlendioxidverringerung um 15 Prozent und bis 2050 um 50 Prozent!
Man sehe doch in diesen Tagen bloß einmal aufs Thermometer! Und wem die Bilder der nackten Berge nicht genügen, die bis vor Kurzem noch von Eis bedeckt waren, der höre den Kommentar des Fernsehreporters, der den Klimaforscher bei seinem Hubschrauberflug begleitet: "Ein sterbender Gletscher, ermordet von Klimagasen."
Ja, den sterbenden Gletscher kann man sehen – den Mord aber kei- neswegs. "Von der Hypothese zur Katastrophe" ist der Titel einer Untersuchung des Wissenschaftssoziologen Peter Weingart, die, gestützt auf Hunderte von Beiträgen in führenden deutschen Medien, die wundersame Verwandlung einer Vermutung in sicheres Wissen dokumentiert. Wundersam deshalb, weil nicht wissenschaftlicher Fortschritt die treibende Kraft dieser Verwandlung war, sondern das genaue Gegenteil. Schleichend wurde es Brauch, sich in Klimadingen bloß noch auf den "weltweiten" Konsens der "renommiertesten" Experten zu berufen, Gegenmeinungen unmoralisch zu finden und alle begründete Skepsis als vorgestrig abzutun. Der Klimawandel ist nicht zu bestreiten, aber seine Verursachung durch Treibhausgase ist mitnichten über jeden Zweifel erhaben.
Viel bestürzender als der unbestreitbare Klimawandel ist die Dauerhaftigkeit der menschlichen Neigung, zu glauben, was alle glauben, Aposteln zu vertrauen und keine Gegenargumente mehr hören zu wollen. Was wir in den letzten zehn Jahren in der Klimadebatte erlebt haben, war die Geburt einer konstruierten Gewissheit von großer Suggestivkraft. Ihr Erfolg hat nicht zuletzt mit ihrer eingängigen Erzählbarkeit und Dramatisierbarkeit zu tun, aus der zunächst die Medien Schlagzeilen machten und dann die Politiker Programme. Im Vergleich dazu sind die Bühneneigenschaften der These von der Erderwärmung im Zusammenhang mit veränderter Sonnenaktivität eher bescheiden. Wo bleibt der faire Wettbewerb der Modelle?
Inzwischen ist das Paradigma vom menschengemachten Klimawandel nicht nur mächtig geworden, es stattet auch mit Macht aus: mit Wählerstimmen, Forschungsorganisationen, öffentlicher Aufmerksamkeit, akademischer Reputation, Geld und Positionen. Es darf gar nicht mehr falsch sein. Mit dem Strategiepaket der EU wird es weiter befestigt. Der Zug ist abgefahren, und in ihm sitzen viele Wissenschaftler und Politiker, für die es kein Zurück mehr gibt. Diese Eigendynamik des Paradigmas ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist der Leserbrief von Herrn Koelle aus Ottobrunn vor zwei Tagen. Es gibt noch Zweifler in diesem Land.
» PI-Beiträge zum Thema Klimawandel
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